Verliebter Greis

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Iris
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Registriert: Samstag 28. April 2007, 20:31

Verliebter Greis

Beitrag von Iris »

Hallo!

Eine weitverbreitete, oft verherrlichte Haltung ist die des ewigen Jünglings. Er trägt gern Schnurrbart, ist in sich selbst verliebt, liebt seine Frau halbherzig. Als Senex amans, als verliebter Greis, ist der ewige Jüngling ein armer, einsamer Mensch, der nicht den Mut gehabt hat, Abschied zu nehmen von seiner Jugend. Er hat sich nicht entschieden für eine Frau. Der verliebte Greis hat es versäumt, zu reifen, sein Alter anzunehmen. Der ewige Knabe hält am Vergangenen fest. Er klammert sich mit allen Fasern seiner Seele an die Mutter, ans Elternhaus, an seine erste Liebe. Er verklärt frühere Zeiten. Er ist so unreif, unbeschwert, kindisch wie damals in seiner Jugend. Doch es passt nicht mehr.

Auf ihre Problematik angesprochen, meinen die ewigen Jünglinge, man könne seelische Entwicklung nicht erzwingen. Vor allem könnten sie nicht davon ablassen, Frauen zu erobern.

Sie verharren in der Jugend, obwohl die Zeit sie kennzeichnet. Den Widerspruch ihrer mangelhaften Entwicklung spiegeln ihr alternder Körper, ihr ewig junges Gehabe und Reden. Verliebt sich der ewige Jüngling in eine junge Frau, fließt verflossene Kinderzeit ihm zu. Seine Mutter schaute ihm damals so frisch und verführerisch entgegen, wie die faltenlose Verliebte von heute. Das Schicksal des ewigen Knaben, die Verführbarkeit durch die Macht des Sexus erlitten viele Dichter. Meisterhaft in Worte gefasst haben Casanova und der norwegische Dramatiker Ibsen das Drama des Ewigen Jünglings.

Der ewige Knabe hat Schuldgefühle, seine Mutter zu verlassen. Der alternde Jüngling ruft häufig bei seiner Mutter an. Er besucht sie täglich oder wöchentlich. Er denkt in Liebe an sie, unwissend, dass es eine von ihr aufgetragene Knechtung ist. Wie Peer Gynt reist er um die Welt, landet am Ende einsam und unglücklich in den Armen seiner Mutter. Der ewige Jüngling hat Kopfschmerzen, er trägt Zeichen der Angst in sich. Er ist auf der Flucht. Er darf sich nicht binden. Zu einer dauerhaften Liebe reichen seine Kräfte nicht. Er, der unruhig Reisende, bleibt bis zum Tode gefangen in seiner Mutter Schoß. Er glaubt, das Glück bei der Nächsten zu greifen. Die Liebe begreift er als Wechselspiel.

Viele meinen, das Fremdgehen gehöre als Erbe des Tierreichs zur Natur des Menschen. Die Befürworter der Untreue würden hinter ihre Ausflüchte schauen, die tausendfache Aussaat der Elternbindung und des Gefangenseins in der Vergangenheit erkennen, wenn sie sich ihren Träumen und ihrem Inneren öffneten. Sie verachten die Wahrheit, wie die Treue und ihre Frau.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, diese Verhaltensweisen empfinde eine Seele in ihrer Tiefe als spaßig. Der Untreue kann gegenüber der Verführung nicht Nein sagen. Er ist Täter und Opfer. Wenn der Verführer ein schlechtes Gewissen hätte, seine eigene Frau so lieben würde, wie er es könnte, dann fände er sein Verhalten abgeschmackt und widerlich. Es fehlt ihm an echter, wahrhaftiger Liebe. Der flüchtige Eroberungsdrang ist umfassend. Sobald er aber eine Frau auf seine Seite gezogen hat, taucht seine Angst vor Nähe auf. Es kriechen Schuldgefühle empor, wenn er sich einer Frau in Liebe nähert. "Lieben geht aber doch nicht auf Krampf, Frau Doktor." So lautet die gängige Antwort von ewigen Jünglingen oder Frauen. Oder: "Dazu kann man sich doch nicht zwingen!"

Wird die Untreue eines Tages von den Völkern tiefenpsychologisch verstanden und aufgearbeitet werden? Werden sie sich dessen bewusst, dass ein unbewusster Fluch einen reitet, die Liebe zerstört? Dass allein düstere Mächte des Bösen ein verführerisches Werk anrühren? Dass Trennungs- und Fremdgehgedanken auftauchen mit dem Ziel, die Ehe zu zerstören? Meine Antwort lautet: Ja, die Mehrheit wird diesen Weg der Wahrheit finden und sich weiterentwickeln. Die dauerhafte Liebe ist nicht ein Gespinst, sondern lohnende Wirklichkeit - für den, der sich ringend, leidend und auch genießend um die Liebe bemüht, indem er sich die Kräfte des Unbewussten bewusst macht.

Viele Grüße

Iris
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